Schwulenhass, Islamismus und Realitätsverweigerung in Neukölln Anna Schneider, Berlin-Neukölln 19.11.2020 NZZ NZZ Gewalt gegen Homosexuelle hat in Berlin in den letzten Jahren stark zugenommen. Der kulturelle Hintergrund dieser Taten wird gerne verdrängt – weil er mit Islamismus und Migration zu tun hat. Ein Augenschein in Neukölln. Aufgrund der seit Jahren steigenden Zahlen homophober Hasskriminalität wurde bereits im Jahr 2012 eine Spezialeinheit bei der Berliner Staatsanwaltschaft eingerichtet. Stefan Boness/ Ipon / Imago Die Szene sorgte nicht nur im Berliner Bezirk Neukölln für Aufsehen. Am 31. Oktober zieht ein syrischer Youtuber einen als Emmanuel Macron verkleideten Mann an einem Strick hinter sich her. «Hund» und «Ungeziefer», schimpft der Syrer auf Arabisch. Auf dem Kopf trägt er eine rot-weisse Kufiya, in der Hand einen Ledergürtel, der ihm als Peitsche dient. Etwa 20 Menschen folgen ihm die Sonnenallee entlang. Satire? Wohl kaum. Der französische Präsident ist nach dem Mord am Lehrer Samuel Paty durch einen Islamisten zur Hassfigur in muslimischen Ländern geworden. Dass der Macron-Darsteller von Neukölln eine blonde Frauenperücke trägt, ist ebenfalls kein Zufall. Der Franzose gilt in islamistischen Kreisen als Inbegriff des verweichlichten, verweiblichten Westlers. «Gewalt ist selbstverständlich» An diesem sonnigen Novembernachmittag ist es ruhig in Neukölln. Andreas* steht an der Reuterstrasse Ecke Sonnenallee und zupft sich den schwarzen Mund-Nasen-Schutz zurecht. Für ihn sind Vorkommnisse wie diese Macron-Geisslerprozedur keine Einzelfälle, sondern bizarre Auswüchse eines längst offensichtlichen Problems. Nur ein paar Strassen weiter hielt die Imam-Riza-Moschee im Februar eine «Trauerzeremonie» für den von US-Streitkräften im Irak getöteten General der iranischen Al-Quds-Brigaden, Qassem Soleimani, ab. «Langsam», sagt er, «langsam fühlen sie sich stark genug, um Druck auf der Strasse auszuüben. Da ist gerade etwas am Kippen.» Mit «sie» sind Islamisten und Migranten aus patriarchalen Kulturen gemeint, die Werte wie Toleranz, Meinungsfreiheit und (sexuelle) Freiheit verachten. Was derzeit in Neukölln passiert, ist denn auch symptomatisch für eine Politik des Wegsehens, des Nichtwahrhabenwollens und der Anbiederung, sobald es um Gewalt und Intoleranz vermeintlich unterdrückter Minderheiten geht. Homosexuelle, besonders auch homosexuelle Flüchtlinge, bekommen das schon lange zu spüren. «Gewalt gegen Homosexuelle ist hier inzwischen selbstverständlich», sagt Thomas. Für Schwule heisse das: Lieber keine Leggings, lieber kein Knutschen in der Öffentlichkeit. Thomas lebt seit 10 Jahren in Neukölln, Andreas seit 16 Jahren. Vor zwei Jahren haben sie zusammen mit anderen die Initiative «Ehrlos statt Wehrlos» gegründet. Den Anstoss gab ein Angriff auf ein schwules Paar. Es wurde mitten in Neukölln von einer Gruppe arabischsprachiger Männer verbal und körperlich attackiert. Einer der beiden trug eine Stichwunde am Oberschenkel davon. Als das Paar einige Tage später erneut von denselben Tätern angegriffen wurde, habe die Polizei den beiden nahegelegt, aus dem Bezirk wegzuziehen, sagt Andreas. Ihre Sicherheit könne nicht garantiert werden. Inzwischen hätten die beiden Deutschland verlassen. Seit in den vergangenen Jahren auch Hipster Neukölln für sich entdeckt haben, merke man, dass «das Gerede» vom liberalen Multikulti-Bezirk im besten Fall naiv sei, sagt Thomas. «Es geht eben nicht, dass alle zusammenleben, wenn ein Teil davon homophob ist.» Angriffe auf Homo- und Transsexuelle nehmen seit einigen Jahren in ganz Berlin zu. Das Anti-Gewalt-Projekt «Maneo» dokumentierte im vergangenen Jahr 559 Attacken und Beleidigungen, so viele wie nie zuvor. Diese Zahlen decken sich zwar nicht mit jenen der Berliner Polizei, da «Maneo» auch Fälle vermerkt, die nicht angezeigt werden. Dennoch registriert auch die Polizei einen Anstieg der Beleidigungen, Bedrohungen und Angriffe; allein bis Ende September 2019 waren es 261. Im Vorjahr wurden im gleichen Zeitraum 184 Vorfälle registriert. Dabei geht «Maneo» davon aus, dass die Dunkelziffer noch wesentlich höher liegt. Etwa 80 bis 90 Prozent der Fälle seien gar nicht bekannt. Aufgrund der seit Jahren steigenden Zahlen homophober Hasskriminalität wurde bereits im Jahr 2012 eine Spezialeinheit bei der Berliner Staatsanwaltschaft eingerichtet. Das ist deutschlandweit einzigartig. Während Politiker und Vereine sonst oft rasch mit Verurteilungen von Hass und Intoleranz zur Stelle sind, fällt es in diesen Fällen den meisten schwer, die Täter zu benennen. Die «Polarisierung der Gesellschaft», so behauptete die Berliner Polizei kürzlich, führe zu einem Anstieg der Hasskriminalität. Zudem würden heute mehr Opfer Anzeige erstatten. Im jüngsten «Maneo»-Bericht wird Hass auf Homosexuelle und Transgender zwar ebenfalls als «Herausforderung, die weiterhin tief in der Mitte unserer Gesellschaft verankert ist» bezeichnet. Allerdings schreiben die Verfasser auch: «Manche Schwulenpaare meiden offenes Auftreten in bestimmten Gegenden, etwa weil sich dort viele arabisch- und türkischstämmige Jugendliche mit homosexuellenfeindlichen Einstellungen aufhalten.» Selbstverleugnung in der bunten Gesellschaft Für Andreas und seine Initiative «Ehrlos statt Wehrlos» ist denn auch klar, dass es zwischen der Präsenz von Islamisten und den Gewalttaten gegen Homosexuelle einen klaren Zusammenhang gibt. In einem Beitrag, den die Gruppe kürzlich veröffentlicht hat, heisst es: «Transsexuelle, die in jener Gegend im ‹Fummel› unterwegs sind, müssen fürchten, durch Spaliere pöbelnder Männergruppen gejagt zu werden.» Beleidigungen wie «Schwuchtel», «haram» (ehrlos) oder «Kuffar» (Ungläubiger) gehörten mittlerweile zum Neuköllner Alltag, selbst mit Steinwürfen oder Messerattacken müsse gerechnet werden. Die Autoren weisen jedoch auch auf eine oft vergessene Tatsache hin: Homosexuelle müssen in den meisten islamischen Ländern mit Prügeln, (innerfamiliären) Drohungen, Zwangsverheiratungen, Haftstrafen oder gar Hinrichtungen rechnen. Und wenn islamische Gelehrte wie Jusuf al-Quaradawi über die Frage sinnieren, ob nur passive oder auch aktive Homosexuelle den Tod verdienten, ist das kein aussergewöhnlicher Fall von «Hate-Speech». Erschienen ist der Beitrag von «Ehrlos statt Wehrlos» im Sammelband «Zugzwänge». In diesem Werk beschäftigen sich verschiedene Autoren mit der Frage, weshalb im Westen derart viele Leute blind sind für homophobe und antisemitische Tendenzen in islamischen Kulturen. «Ehrlos statt Wehrlos» spricht gar von «autodestruktiver Selbstverleugnung», die selbst die Regenbogen-Community erfasst habe. Tatsächlich offenbaren manche Vereine und Politiker eine bemerkenswerte Naivität, wenn sie es mit Leuten zu tun haben, deren Bekenntnisse zu Toleranz, Demokratie und Gleichberechtigung zumindest fragwürdig sind. So haben zwei Politikerinnen der Grünen, Susanna Kahlefeld und Anja Kofbinger, zusammen mit dem damaligen Integrationsbeauftragten und dem Moscheenverein Neuköllner Begegungsstätte (NBS) im vergangenen Jahr eine Aktion namens «Sicherheit – Geborgenheit – Neukölln» ins Leben gerufen, die «Betroffenen von Angriffen» Schutz bieten soll. Da sich die Aktion nicht nur gegen homophobe, sondern auch gegen antimuslimische Gewalt richtet, wird suggeriert, dass Muslime und Homosexuelle im Grunde Opfer desselben Täters namens «Mehrheitsgesellschaft» seien. Konservative Muslime wiederum können sich auf diese Weise als Verbündete im Kampf gegen Sexismus und Homophobie empfehlen. Das gilt unter anderem für die NBS, die in den vergangenen Jahren wiederholt im Verfassungsschutzbericht des Landes Berlin aufgeführt wurde. Sie stehe, so hiess es jeweils, der radikalen Muslimbruderschaft nahe. Dagegen klagte die NBS erfolgreich, seit 2018 darf sie im Verfassungsschutzbericht nicht mehr genannt werden. Auf Anfrage der NZZ betont NBS, ein eigenständiger Verein zu sein, der keiner international agierenden Organisation unter- oder nahesteht. Beobachtet wird der Moscheenverein von den Verfassungsschützern allerdings nach wie vor. Auch der NBS-Imam Taha Sabri, der Homophobie öffentlich verurteilt, ist immer wieder in die Kritik geraten, unter anderem wegen der Einladung eines Hasspredigers oder mit einer Solidaritätsgeste für die Muslimbrüder. «Leute wie Sabri suchen ganz bewusst den Kontakt zu antirassistischen linken Initiativen», sagt Thomas* von «Ehrlos statt Wehrlos». Den Dialog mit dem legalistischen Islamismus hält er grundsätzlich für falsch. Zu oft sei er bloss ein Schritt zur Ausweitung des islamischen Machtanspruchs. Die Strategie der «Krawattenislamisten» Deutsche Islamisten, so schrieb der Politikwissenschafter Hamed Abdel-Samad bereits 2018 in seinem Buch «Integration – Ein Protokoll des Scheiterns», würden sich geschickt dem Diskurs der Moderne anpassen: «Sie nutzen den Wunsch junger Muslime nach Identität aus und vereinnahmen sie mit Opferdiskursen und Klagen über Islamophobie.» Abdel-Samad spricht von «Krawattenislamisten». Wie erfolgreich diese Strategie ist, zeigt sich unter anderem daran, dass linke Gruppen tatsächlich glauben, konservative Muslime würden wie sie für Frauenrechte und gegen Sexismus oder Homophobie kämpfen. Dies nicht nur in Berlin, sondern auch in der Schweiz, wo Linksextreme mit Transparenten gegen christliche Abtreibungsgegner mobilisieren, auf denen eine Comic-Frau mit Kopftuch zu sehen ist. Liberale Muslime und Gruppen wie «Ehrlos statt Wehrlos» müssen sich dagegen Vorwürfe anhören, sie spielten «den Rechtspopulisten» in die Hände. «Gewalt soll als Problem auf bestimmte Gruppen ausgelagert werden», so heisst es in einer unter anderem von muslimischen Gruppen unterzeichneten Stellungnahme gegen «Ehrlos statt Wehrlos», «rechtspopulistische Sicherheitsdiskurse sollen in queeren Kreisen etabliert werden. Nicht mit uns!» Während Kritiker stigmatisiert werden sollen, gelten Vertreter muslimischer Vereine als Ansprechpartner, die es an jenen Worten zu messen gilt, die sie an die (deutsche) Öffentlichkeit richten. Neuköllns neue Integrationsbeauftragte Güner Balci zum Beispiel weiss um die Probleme in diesem Bezirk, sie ist dort aufgewachsen. «Jemanden, der einen anderen zusammenschlägt, weil er schwul ist, erreicht man oft nicht mehr», sagt Balci. Es gehe um sein Umfeld. Deshalb müsse man Verbündete suchen, auch in konservativen Moscheevereinen. Entsprechend sieht Balci kein Problem darin, Imam Sabri zu einer Gedenkfeier für den von einem Islamisten ermordeten Lehrer Samuel Paty einzuladen: Wenn der Imam des Lehrers gedenken möchte, sei das doch ein gutes Zeichen. Umdenken bei den Grünen Die grüne Berliner Abgeordnete Susanna Kahlefeld hat verschiedentlich durchblicken lassen, dass sie dem Verfassungsschutz weniger traut als NBS. Ebenso ist sie überzeugt, dass die Neuköllner Aktion ein Erfolg war: «Imam Sabri hat berichtet, dass er beim Thema Homosexualität sehr stark veränderte Reaktionen aus der Gemeinde bekommt: Es gebe viel Offenheit, weniger Verschämtheit und weniger Ablehnung.» Andere Politiker im Bezirk sehen die Präsenz des Imams kritisch. Falko Liecke (CDU), der stellvertretende Bezirksbürgermeister in Neukölln, ist der Gedenkveranstaltung für Paty wegen Sabris Präsenz absichtlich ferngeblieben. Die Haltung gegenüber dem Geistlichen hält er für gefährlich: Obwohl dieser einen legalistischen Islamismus verfolge, werde er immer wieder hofiert und eingeladen. Und genau darin läge die Strategie des Islamismus, scheinbare Offenheit und die Zugehörigkeit zur Mitte der Gesellschaft zu suggerieren, sagt Liecke. Die islamistischen Verbrechen der letzten Wochen haben jedoch auch in linken Kreisen zu einem Umdenken geführt. Nachdem sich die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckhardt im Jahr 2015 noch darauf freute, bald in einem «religiöseren» Deutschland leben zu dürfen, äussert sich inzwischen auch der Bundesvorsitzende Robert Habeck ungewöhnlich deutlich zum Islamismus. «Die letzten Wochen haben erneut gezeigt, wie real die Bedrohung durch islamistische Gewalttäter ist», sagte der Grünen-Chef, und: Die offene Gesellschaft sei in Gefahr. Anlass für diese Einsicht war unter anderem der mutmassliche Mord an einem homosexuellen Touristen in Dresden. Dieser wurde zusammen mit seinem Partner von einem polizeibekannten syrischen Islamisten niedergestochen. In einer der Todesanzeigen für den 55-Jährigen heisst es: «Dein Tod war nicht umsonst. Er hat uns alle aufgeweckt.» * /Namen von der Redaktion geändert./