Fürs Klima - Der «Stern» verabschiedet sich vom Journalismus Marc Felix Serrao 24.09.2020 NZZ Glosse Nur konsequent: Der «Stern» verabschiedet sich vom Journalismus Das Hamburger Magazin hat seine jüngste Ausgabe zusammen mit der Bewegung Fridays for Future gestaltet. Ein Tabubruch? Im Gegenteil, die Redaktion ist einfach ehrlich. Marc Felix Serrao, Berlin Mit ihr fing es an: Greta Thunberg, inzwischen 17 Jahre alt, protestiert Anfang September vor dem schwedischen Parlament. Fredrik Sandberg / AP Die jüngste Ausgabe des Hamburger Magazins «Stern» ist eine ganz besondere. Sie ist «zusammen mit Fridays for Future» entstanden, jener Bewegung, die für diesen Freitag erneut zu einem «globalen Klimastreik» aufgerufen hat. Die Aktivisten durften mit entscheiden, worüber der «Stern» berichtet und wie. Schon die Ankündigung hat ein grosses Echo ausgelöst. Grundfalsch sei das, sehr schade, mehr als fragwürdig – und überhaupt: Das habe doch nichts mehr mit Journalismus zu tun. Der letzte Befund stimmt. Der «Stern» hat sich mit diesem Heft offiziell vom Journalismus verabschiedet. Aber das ist weder falsch, noch fragwürdig. Es ist ein überfälliges Bekenntnis. Inoffiziell begleitet der «Stern» – wie viele andere, vor allem Hamburger Medien auch – Fridays for Future schon seit Jahren auf eine, nun ja, sehr zugeneigte Weise. Was auch immer Greta Thunberg, die inzwischen 17-jährige bekannteste Repräsentantin der Bewegung, sagt oder tut, wird aufgegriffen, wenn nicht im gedruckten Heft, dann von der Online-Redaktion: Greta erhält einen «Preis für Menschlichkeit», Greta feiert Geburtstag, Greta fährt Zug, Greta besucht das Kanzleramt, Greta will vors Weisse Haus, Greta ändert ihren Namen bei Twitter, Greta segelt nach New York («Schafft sie es rechtzeitig?») und so weiter. Sollte sich Greta verlieben, wird der «Stern» garantiert berichten. Sein eigenes, redaktionelles Herz läuft längst über. Und damit zum jüngsten Heft. Baumwollbeutel reichen nicht mehr «Was die Klimakrise angeht, ist der ‹Stern› nicht länger neutral», erklärt die Chefredaktorin im Vorwort. Ihr Heft verpflichte sich dazu, den Klimaschutz fortan mit allen zur Verfügung stehenden publizistischen Mitteln zu unterstützen. An anderer Stelle heisst es, dass es in der Redaktion niemanden gebe, dem die existenzielle Bedrohungslage nicht bewusst sei. Diese kollektive Einsicht schlägt sich unter anderem in einer Reihe von «Wir»-Botschaften nieder, die natürlich auch die Leser meinen. «Fangen wir also endlich gemeinsam an!» Beliebt sind auch dramatische Wortpaare: «Unzähmbares Inferno», «Toxische Gleichgültigkeit» oder auch «Bodenlos trocken». Sogar der Karikaturist muss fürs Klima kämpfen. In einer Zeichnung sieht man ein Paar angezogen in der vollen Badewanne sitzen. «Und so wird’s uns allen gehen, wenn der Meeresspiegel weiter steigt», erklärt der Mann. Offenbar dürfen selbst Witze, wenn die Lage so ernst ist, nicht mehr witzig sein. Der Co-Chefredaktor erklärt unterdessen, was alles nicht ausreicht, um die Welt zu retten: haltbare Baumwollbeutel etwa oder der Verzicht auf Fleisch. Was es wirklich braucht, erfährt man auf 130 aus totem Holz hergestellten Seiten, die ihren Weg in die Zeitschriftenläden vermutlich nicht nur mithilfe von Fahrradkurieren gefunden haben.