Deutschland gibt sich der Planwirtschaft hin Wolfgang Bok 10.09.2020 NZZ Gastkommentar von Wolfgang Bok, Seite 13, Meinung & Debatte Immer lauter rufen die Deutschen nach dem starken Vater Staat, der gibt und lenkt. Der Weg führt schleichend von der sozialen Marktwirtschaft in einen marktwirtschaftlichen Sozialismus. Behält Erich Honecker doch noch recht? «Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf», so brüstete sich der Staatsratsvorsitzende vor ziemlich genau 31 Jahren, als seine DDR be- reits kurz vor ihrem Ende stand. Hohn und Spott ergossen sich über den schmächtigen Mann mit der piepsigen Stimme. War doch selbst für die treues- ten SED-Genossen längst offenbar, dass die Plan- wirtschafter der SED einen fulminanten Bankrott hingelegt hatten. Man sollte also annehmen, dass gerade die Deut- schen die Vorzüge von Kapitalismus und Markt- wirtschaft zu schätzen wüssten. Insbesondere die Ostdeutschen müssten immun sein gegen die Sire- nenklänge der Staatswirtschaft. Doch weit gefehlt. Je weiter der Fall der Mauer im Nebel der Vergan- genheit verschwindet, desto lauter ertönen die Rufe nach dem starken Vater Staat, der gibt und lenkt. Bündnisse mit den Postkommunisten Am offenkundigsten ist diese Entwicklung zu er- kennen am Umgang mit den Erben der SED, die sich heute Linkspartei nennen: Bündnisse mit den Postkommunisten schrecken selbst die Christlich- demokraten nicht mehr. Entgegen bisherigen Par- teitagsbeschlüssen stellt die neue SPD-Führung die Weichen konsequent in Richtung Rot-Rot-Grün. Wobei Olaf Scholz als Kanzlerkandidat notgedrun- gen als Köder für die nicht ganz so linke Wähler- schaft in Kauf genommen wird. Die Grünen halten sich zwar bedeckt, doch im Zweifel votieren auch sie für ein linkes Bündnis, wie man an den Landes- regierungen in Berlin und Bremen sieht. Damit einher geht eine Verschiebung auch des ökonomischen Koordinatensystems. Obwohl Deutschland mittlerweile über eine Billion Euro - und damit bald ein Drittel der gesamten Wirtschafts- leistung - für Soziales ausgibt, ist es nie genug. Nicht erst seit die Corona-Krise das öffentliche Leben in den Dämmerzustand versetzt. Im kollektiven Vorruhestand oder Home-Office erscheint die Rezession vielen Deutschen recht erträglich. Das nährt die Illusion, dass der Staat über unendliche Finanzkraft verfügt und Reformen daher unnötig sind. Der verordnete Lockdown wirkt lediglich als Brandbeschleuniger. Heute trauen sich nicht ein- mal mehr die Liberalen, nach Steuersenkungen, Bürokratieabbau und weniger Staat zu rufen. Ob- wohl Deutschland bei der Abgabenlast inzwischen sogar Belgien von der traurigen Spitzenposition verdrängt hat, können SPD, Grüne und Links- partei unbekümmert nach neuen Abgaben und noch höheren Steuern verlangen. Die sollen natür- lich nur «die Reichen» treffen, die allerdings weit gefasst werden. Zu den Spitzenverdienern zählt in Deutschland schon, wer das 1,2-Fache des Durch- schnittseinkommens (rund 46 000 Euro brutto im Jahr) verdient. Die von Kanzlerin Merkel nach links gerückte CDU hält allenfalls verbal dagegen. Selbst die bayrische CSU unter Markus Söder lieb- äugelt mit schwarz-grünen Bündnissen und betont nun das Ökosoziale in ihrer Programmatıik. Hilfspakete im grossen Stil Auf vielen Ebenen gleitet Deutschland so schlei- chend von der sozialen Marktwirtschaft in einen marktwirtschaftlichen Sozialismus. Die Hilfspakete zur Abfederung der Corona-Krise, die sich mittler- weile auf 1,8 Billionen Euro summieren, entfalten dabei eine narkotisierende Wirkung: Ein bald auf 24 Monate verlängertes Kurzarbeitergeld sowie die Aussetzung des Insolvenzrechts verschieben den drohenden drastischen Anstieg der Arbeitslosen- zahlen weit ins nächste Jahr. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) plant Staatsbeteiligungen an notleidenden Unternehmen wie der Lufthansa im grossen Stil. Der.Deutsche Städtetag ruft nach Verstaatlichung der Innenstädte, um den Einzel- handel zu retten. Die Wähler danken es den Schul- denmachern Merkel, Söder und Scholz mit hohen Popularitätswerten. Im kollektiven Vorruhestand oder Home-Office erscheint die tiefste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg vielen Deutschen doch recht erträglich. Das hebt die Stimmung - und nährt die Illusion, dass der Staat über unendliche Finanzkraft verfügt und Reformen daher unnötig sind. Während Selbständige und Freiberufler nicht wissen, wie lange sie noch Mieten und Unterhalt stemmen können, müssen sich Rentner, Pensio- näre und alle Angestellten im öffentlichen und halböffentlichen Dienst nicht um ihr regelmässiges Einkommen sorgen. Im Gegenteil: Die Zahlungen steigen sogar in der Corona-Krise. Entsprechend attraktiv ist der Staatsdienst, der sich längst zum grössten Arbeitgeber entwickelt hat - und sich be- ständig weiter aufbläht. Schon vor Corona zogen über 40 Prozent der Studenten den sicheren Job in einer Behörde denjenigen in der Industrie vor. Der Mut zur Selbständigkeit verkümmert. Eigentum soll dem Allgemeinwohl dienen So verschieben sich die Gewichte zur Staatswirt- schaft, derweil die kritischen Geister der freien Wirtschaft an Einfluss verlieren. Abzulesen auch am Niedergang der FDP. Die letzten Fürsprecher von Eigenverantwortung und Leistungsbeloh- nung müssen bei jeder Wahl die Fünfprozenthürde fürchten. Im Land der Mieter erntet auch viel Bei- fall, wer das Recht auf Schutz des Eigentums etwa der Immobilienbesitzer infrage stellt, wie es Arti- kel 14 Absatz .1 der Verfassung garantiert. Geläu- fig ist hingegen Absatz 2, wonach Eigentum dem Allgemeinwohl dienen soll. Dass mit diesem Argu- ment auch die Kommunisten der DDR unterneh- merische Bürger üm ihr Eigentum beraubt und die Sowjetzone mit ihrer Planwirtschaft in den Ruin getrieben haben, scheint drei Jahrzehnte später vergessen. Am konsequentesten wird die Planwirtschaft in Deutschland mit der sogenannten Energie- wende betrieben. Im Namen des Klimawandels werden Kern- und Kohlekraftwerke zwangsweise abgeschaltet und ganze Landstriche mit monströ- sen Windrädern oder Solarplantagen verschandelt. Das Ergebnis: Die deutschen Privathaushalte zah- len mit 30 Cent pro Kilowattstunde auch deshalb die höchsten Strompreise, weil alle Marktgesetze ausgehebelt werden und der Blackout mit-immer höheren Kosten abgewendet werden muss. Nutzen hinsichtlich der weltweiten CO,-Belastung übri- gens gleich null. Wer dies kritisiert, wird als «Klimaleugner» dif- famiert. Auch das erinnert an die DDR, die sich zum Bollwerk gegen den Faschismus stilisiert hat, um jede Opposition im Keim zu ersticken. Dazu braucht es heute keine Zensurbehörde. Im neuen, demokratischen Deutschland stellt ein grosses Einvernehmen von Politik, Verbänden, Kirchen und weiten Teilen der Medien jeden in die rechte Ecke, der sich der Gender-Sprachverhunzung ver- weigert, die europäische Schuldenunion für einen Irrweg hält, strukturellen Rassismus in weiten Tei- len der Gesellschaft nicht erkennen kann und die Massnahmen zur Corona-Bekämpfung für über- zogen hält. Die DDR-Nostalgiker gewinnen an Einfluss Selbst linke Denker, die sich Intellektuelle oder Philosophen nennen, stehen auf der Seite der Macht - also dort, wo die letzten gut dotierten Aufträge locken. Heute schliessen sich die neuen Antifaschisten nicht auf Geheiss von oben, son- dern freiwillig zu «Bündnissen gegen rechts» zu- sammen. Weshalb diese Gefahr auch beim nichti- gen Anlass ständig beschworen werden muss. Dass insbesondere die Bürger in den neuen Ländern sen- sibel auf derlei Denk- und Sprechverbote reagieren, wird ihnen nicht als demokratische Sensibilität an- gerechnet, sondern als tumbe Widerborstigkeit aus- gelegt. Ewige Ossis eben. Dagegen gewinnen die wahren DDR-Nostalgi- ker mit jeder Regierungsbeteiligung weiter an Ein- fluss. Einen vielsagenden Blick hinter die Kulissen gibt Benedikt Lux: Im «Neuen Deutschland», dem ehemaligen SED-Parteiblatt, zählt der grüne Ber- liner Stadtverordnete die Erfolge rot-rot-grüner Sicherheitspolitik auf: «Wir haben die gesamte Füh- rung fast aller Berliner Sicherheitsbehörden ausge- tauscht und dort ziemlich gute Leute reingebracht. Bei der Feuerwehr, der Polizei. der Generalstaats- anwaltschaft und auch beim Verfassungsschutz. Ich hoffe, dass sich das in Zukunft bemerkbar macht.» Honecker hätte seine Freude an dieser Entwick- lung zur DDR light, die heute im Gewand des Öko- sozialismus daherkommt. —— Wolfgang Bok war Chefredaktor der Tageszeitung «Heil- bronner Stimme». Der promovierte Politologe arbeitet als freier Publizist und lehrt strategische Kommunikation an der Hochschule Heilbronn.