Deutsche und Amerikaner: Was sie unterscheidet Vince Ebert 25.09.2020 NZZ Sie verachten die Technik, sie lieben die Angst, sie verschmähen die Freiheit: was die Deutschen von den Amis unterscheidet Ich habe ein Jahr lang mein Glück als deutscher Comedian in den Vereinigten Staaten versucht. Zum Glück ziemlich erfolgreich. Denn die Amerikaner mögen die Deutschen. Das Gegenteil kann man nicht wirklich behaupten. Cowboy-Stiefel sind fast niedlich – bis man die Sporen zu Gesicht bekommt. Dann wird manchen angst und bange. Mark Kolbe / Getty Das Verhältnis von uns Deutschen zu Amerika war schon immer widersprüchlich. Auf der einen Seite halten wir die Amerikaner für kultur- und bildungsferne Cowboys, auf der anderen Seite bewundern wir den Mythos vom American Dream. Wir lieben Geschichten wie die von Bill Gates, der Microsoft in einer kleinen Garage gründete. Oder die von Oprah Winfrey, die in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs und zur Talkshow-Queen aufstieg. Oder, manchmal, auch die von Donald Trump, der mit angeblich nur zweihundert Millionen Dollar Startkapital seines Vater einen Immobilienkonzern hochzog. Als ich im Juli 2019 für ein Jahr nach Manhattan zog, um dort als deutscher Kabarettist in Stand-up-Klubs aufzutreten, hat mich genau dieser Mythos vom American Dream gereizt: Du kommst mit nur einem Dollar in der Tasche nach New York. Aber dort lässt du dich nicht unterkriegen und schuftest so hart, dass du schon nach kurzer Zeit ein kleines Vermögen gemacht hast. Ich dagegen kam mit einem kleinen Vermögen nach New York und habe schon nach kurzer Zeit – aber na ja, lassen wir das. In Amerika kannst du eben auch tief fallen. Donald Trump war in den achtziger Jahren /der/ Immobilienmogul von New York, und heute muss er in einem Haus leben, das vom Staat bezahlt wird. Vom Trump-Tower in eine Sozialwohnung. So schnell kann’s gehen. Die deutsche Risikoscheu und die deutsche Vollkaskomentalität stehen im krassen Gegensatz zum /American way of life/. Salopp gesagt, ist der amerikanische Traum ein deutscher Albtraum. Vermutlich sind wir die einzige Nation, die selbst im Autokino den Sicherheitsgurt anlässt. Bloss kein technischer Fortschritt! Diese Einstellung ist sogar bei vielen jungen Deutschen verbreitet. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Ernst & Young liebäugeln vierzig Prozent der Studenten in unserem Land mit einem Job im öffentlichen Dienst. Gründermentalität, Wagemut und Zukunftsoptimismus sind keine deutschen Kerntugenden. Man möchte lieber verwalten als gestalten. Die Angst, Fehler zu machen, macht tatsächlich einen grossen Teil unserer kulturellen DNA aus. Weltweit gibt es keine Industrienation, die sich mehr vor Stammzellenforschung, vor Gentechnik oder vor Kernenergie fürchtet als wir, die einstige Technikernation. Amerikaner sind stolz, wenn sie etwas zustande bringen. Wir Deutsche sind stolz, wenn wir etwas verhindern können: Atom- und Kohlekraftwerke, Transrapids und TTIP. Die Durchsetzung eines Dieselfahrverbotes wird in diesem Land wie eine zweite Mondlandung gefeiert. Bei einem Nein gerät der deutsche Bedenkenträger in geradezu euphorisches Entzücken! Die Amerikaner haben sogar ein deutsches Wort für unsere Schwarzseherei übernommen: /the German angst/. Deswegen sind auch die zwei typischsten deutschen Erfindungen die «Spassbremse» und die «Reiserücktrittsversicherung». Der Deutsche bucht einen Abenteuerurlaub zu den Kannibalen nach Südamerika – aber keinesfalls ohne Reiserücktrittsversicherung. Andernfalls wäre das Ganze viel zu riskant. Bloss nichts Grosses! Wenn wir wirklich einmal etwas Grosses hinbekommen, dann ist uns das fast ein bisschen peinlich. Fussballweltmeister? Ja, aber danach ging’s ja bekanntlich bergab! Exportweltmeister? Okay, aber auf Kosten der Dritten Welt! Ein deutscher Nobelpreisträger? Na ja, die Idee lag sowieso schon in der Luft. Fast scheint es so, als wären wir Deutsche regelrecht verliebt ins Scheitern. Wir sind von unseren Problemen so dermassen fasziniert, dass wir es eigentlich viel zu schade finden, sie zu lösen. In den USA dagegen herrscht eine durchgehend optimistische Grundeinstellung. Wussten Sie, dass die chinesischen Glückskekse, die in vielen Restaurants nach dem Essen gebracht werden, nicht in China entstanden, sondern erst vor rund hundert Jahren in Amerika? Chinarestaurantbetreiber in San Francisco erkannten, dass die Amerikaner ganz versessen darauf waren, nach dem Essen mit einer optimistischen Botschaft verabschiedet zu werden. «Jeder Tag ist ein Geschenk. Nutze ihn!» Ich habe mir immer vorgestellt, wie es wäre, wenn so etwas in Deutschland erfunden worden wäre. Die Szene vor meinem inneren Auge: Du brichst eine Leberkäs-Semmel auf und findest den Spruch: «Greif nicht nach den Sternen, du schaffst es eh nicht!» Bloss kein Individualismus! Amerika wurde auf der Idee des Individualismus aufgebaut. Auf dem Prinzip der unveräusserlichen Rechte des Einzelnen. Ein Land, in dem es dem Menschen freistand, sein Glück zu machen, weiterzukommen, nicht aufzugeben und etwas durch Leistung zu erreichen. Die Pioniere und Glücksritter des Wilden Westens betrachteten ihr persönliches Selbstwertgefühl als das höchste Gut. In der Überzeugung, dass niemand Anspruch auf nur eine Minute ihres Lebens habe. Egal, wer diesen Anspruch erhebt. Daher sind Amerikas Filmhelden auch oft Figuren, die das Gesetz selbst in die Hand nehmen: Charles Bronson in «Ein Mann sieht rot», Clint Eastwood in «Grand Torino» oder Sylvester Stallone in «Rambo». Für uns Deutsche ist dieser trotzige Freiheitsdrang schwer zu verstehen. Der liberale Gedanke ist bei uns eine Randerscheinung. Für einen freiheitsliebenden Amerikaner ist selbst das Grundsatzprogramm der FDP nahe am Sozialismus. Bei uns ist eben im Zweifel alles gesetzlich geregelt. Es gibt in Deutschland sogar staatliche Behörden für Innovation. Das ist miteinander etwa so gut vereinbar wie eine goldene Hochzeit mit Gerhard Schröder. In einer amerikanischen Zeitschrift las ich, dass mehr als zwei Millionen US-Bürger ernsthaft glauben, dass sie durch ihre Tattoos intelligenter geworden seien. Wenn man das bei uns herausgefunden hätte, würde das Bildungsministerium sofort einen Ausschuss einberufen, in dem man darüber diskutiert, Tattoo-Studios zu subventionieren, um das Intelligenzniveau der Deutschen anzuheben. Ach, Deutschland. Bloss keinen Konjunktiv! Kurz vor Weihnachten besuchten mich meine Eltern in New York, weil sie sehen wollten, ob der Bub in der Fremde tatsächlich sein Glück macht. Sie haben eine Comedy-Show von mir angesehen, obwohl sie kein Wort Englisch sprechen. Leider lief es an jenem Abend nicht besonders gut. Danach bin ich zu ihnen hin und sagte zerknirscht: «Mama, Papa, es lief nicht gut heute Abend.» Aber mein Vater nahm mich zur Seite und meinte nur: «Bub, das war dein Eindruck von der Bühne. Im Publikum war’s noch viel schlimmer.» Doch Amerikaner geben einem immer eine zweite Chance. Nach der Show sagt der Amerikaner: «Great Job. Thank you!» Sobald ein Deutscher im Publikum war, konnte ich sicher sein, dass er danach ankommt: «Also, Herr Ebert, ich habe zwar nicht alles verstanden, aber bei Minute 17 haben Sie bei einem Konditionalsatz I fälschlicherweise den Konjunktiv verwendet.» Was sagen die nüchternen Zahlen über den amerikanischen Traum? Ist Amerika tatsächlich /the land of opportunity/? Oder anders gesagt: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie es als Amerikaner einkommensmässig in die oberen zwanzig Prozent schaffen, wenn Sie in eine Familie hineingeboren werden, die zu den zwanzig Prozent der Ärmsten gehört? Analysen zeigen: Die USA schneiden im Vergleich zu vielen europäischen Ländern deutlich schlechter ab. Wenn Sie in Amerika tatsächlich vom Tellerwäscher zum Millionär werden, dann oft nur, weil Sie sich beim Tellerwaschen die Hand verbrüht und Ihren Arbeitgeber auf fünfunddreissig Millionen Dollar verklagt haben. Natürlich ist vielen Amerikanern bewusst, dass der American Dream ein Mythos ist, der sich oft nicht erfüllt. Erst recht während der Corona-Pandemie. Doch obwohl die gesellschaftlichen und sozialen Probleme in den USA grösser sind als bei uns, sind die Amerikaner dennoch optimistischer. Das Streben nach Glück – /the pursuit of happiness/ – steht sogar in der Unabhängigkeitserklärung. Es ist sozusagen die Pflicht eines jeden Amerikaners, glücklich zu werden. Wenn die Nasa herausfände, dass in vierzehn Tagen ein riesiger Meteorit auf die Erde einschlägt und alles Leben vernichtet, würde der typische Amerikaner sagen: «Fuck it! We’ll shoot it!» Wir holen das Ding runter. Bei uns dagegen würden alle Zeitungen titeln: «Apokalypse in zwei Wochen – Deutschland trifft’s am härtesten!» Und dann gleich die Frage aller Fragen: Haben Sie schon über eine Reiserücktrittsversicherung nachgedacht? *Vince Ebert* ist Physiker und Kabarettist. Eben ist bei dtv sein neues Buch «Broadway statt Jakobsweg. Entschleunigung auf andere Art» erschienen.