Das Herz des deutschen Journalisten schlägt links
Michael Rasch
23.11.2020
NZZ
NZZ
Neutralen Journalismus gibt es kaum. Das fängt bei der Themenwahl an und
endet beim Kommentar. In der Politikberichterstattung scheint das
Phänomen jedoch besonders virulent zu sein, denn bei der Parteinähe
haben deutsche Journalisten stark andere Präferenzen als der
Durchschnitt der Bevölkerung.
Zwei Politiker und viele Journalisten: Die deutsche Kanzlerin Angela
Merkel (r.) und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban stellen sich
in Berlin der Presse. (Bild: Florian Gaertner / photothek.net)
«Lügenpresse, Lügenpresse», schallt es in Deutschland seit mehreren
Jahren immer wieder durchs Land. Zwischen Alpen und Nordsee haben vor
allem Anhänger und Vertreter der AfD und Gruppierungen mit ähnlichen
Einstellungen den Eindruck, Medien würden nicht objektiv berichten.
Besonders stark scheint diese Wahrnehmung im Osten Deutschlands
vorzuherrschen. Allerdings dürften wohl die wenigsten Journalisten und
Medientitel gezielt falsch berichten. Doch woher kommt dann der Eindruck
einer tendenziösen Berichterstattung, wie sie häufig vor allem auch
öffentlichrechtlichen Medien wie ARD und ZDF vorgehalten wird? Zuschauer
haben wohl oft den Eindruck, nicht im Informations-, sondern im
Erziehungsfernsehen zu sein, das einen zu einem guten und toleranten
Bürger machen soll. Liegt es an der politischen Einstellung der
Meinungsmacher?
Satte Mehrheit für Grün-Rot-Rot
Vermutlich ja, denn das Herz des deutschen Journalisten schlägt links,
wie empirische Studien in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt
haben. In anderen Ländern sieht es nicht besser aus. In der Studie
«Journalismus in Deutschland»
aus dem
Jahr 2017 kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die Vertreter der
Medien politisch weiterhin eher im linksliberalen Spektrum stünden.
Insgesamt liegt allerdings nicht viel empirisches Datenmaterial zur
politischen Einstellung und zur Parteinähe von Journalisten vor. Die
Freie Universität Berlin verfasste im Jahr 2010 eine Studie im Auftrag
des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes (DFJV)
.
Dabei zeigte sich, dass es eine klare linke Mehrheit unter den
Medienvertretern in Deutschland gibt. 26,9 Prozent fühlten sich den
Grünen, 15,5 Prozent der SPD und 4,2 Prozent den Linken verbunden,
während sich der CDU/CSU und der FDP nur 9 Prozent und 7,4 Prozent nahe
sahen. Immerhin mehr als jeder Dritte fühlte sich keiner Partei
zugehörig. Unterstellt man, die letzte Gruppe würde als Nichtwähler
auftreten, hätte Grün-Rot-Rot unter deutschen Journalisten eine satte
Mehrheit.
Auch frühere Studien aus den Jahren 2005 und 1993
kommen zu dem Ergebnis, dass sich (politische) Journalisten im
Durchschnitt deutlich links der Mitte verorten. In dem Buch «Die
Souffleure der Mediengesellschaft»
kommen die Autoren 2005 zu den empirischen Ergebnissen, dass
Journalisten ihre eigene Grundhaltung zu 18 Prozent als «links» und zu
48 Prozent als «eher links» einschätzen. Als «eher rechts» und «rechts»
schätzen sich nur 17 Prozent und 2 Prozent ein. Lediglich 15 Prozent
verorteten sich in der politischen Mitte. Allerdings kamen die Autoren
auch zu dem Ergebnis, dass sich die deutsche Bevölkerung in ihrer
Gesamtheit ebenfalls zu 48 Prozent «eher links» oder «links» einschätzt
und nur zu 27 Prozent «eher rechts» oder «rechts».
«Feindliche-Medien-Phänomen»
Insofern ist die Abweichung von der Gesamtbevölkerung hier weniger
auffällig als bei der direkten Frage nach den Parteipräferenzen. In den
Befragungen der Jahre 1993, 2005 und 2009 kommen linke Parteien (SPD,
Grüne, Die Linke) regelmässig auf einen Anteil von knapp 50 Prozent bis
gut 60 Prozent, wogegen tendenziell eher rechte und liberale Parteien
(CDU/CSU, FDP) lediglich Werte zwischen etwa 15 Prozent und 20 Prozent
erzielen. Ein etwas ausgeglicheneres Bild zeigt eine Analyse zu den
deutschen Medienmanagern der Katholischen Universität
Eichstätt-Ingolstadt aus dem Jahr 2014
, bei der
nicht nur Journalisten, sondern auch Mitarbeiter im Verlag befragt
worden sind. Hier liegt der Anteil von «links» zu «rechts» bei 21
Prozent zu 17 Prozent, wobei rund 33 Prozent sich keiner Partei
verbunden fühlten und 29 Prozent keine Angaben zu ihren Präferenzen machten.
Der Vorwurf einer tendenziösen Berichterstattung sowie einer Verzerrung
der Berichterstattung in Richtung linker Positionen und
Wertvorstellungen ist nicht neu. Immer wieder gab es Vorwürfe an Medien
wie «Verunglimpfung von Parteien» (Bernd Lucke), «Manipulation freier
Meinungsbildung» (Gerhard Schröder) oder «merkelfromm» (Jürgen
Habermas). Allerdings kommen Forscher auch zu dem Ergebnis, dass die
Wahrnehmung der Berichterstattung durch die eigene Meinung oft verzerrt
wird. Das gelte speziell für Menschen mit starken Einstellungen, die
dann auch leicht abweichende Medienberichte als gegen die eigene Meinung
gerichtet wahrnehmen («Feindliche-Medien-Phänomen»). Der langjährige
«Fokus»-Chefredakteur Helmut Markwort, der gerade für die FDP in den
Bayerischen Landtag eingezogen ist, sagte 2016, die meisten Journalisten
seien laut Umfragen Wähler der Grünen und er denke schon, dass diese
gefühlte Neigung zu den Grünen sich auch in der Auswahl der Themen und
in der Gewichtung von Meldungen spiegele.
Illusion des neutralen Journalismus
Wie auch immer, es ist jedenfalls relativ klar, dass die politischen
Einstellungen und Parteipräferenzen von Journalisten nicht dem
Durchschnitt der Bevölkerung entsprechen. Manche Forscher halten den
hieraus resultierenden Einfluss auf die Berichterstattung dennoch für
überschaubar. Das liegt zum Beispiel daran, dass Journalisten laut
empirischen Studien ihr eigenes Medium rechts von der eigenen Position
verorten. Dies könnte den Links-Bias in der Berichterstattung etwas
reduzieren, da die Angestellten möglicherweise nicht allzu weit von der
gefühlten Haltung des Arbeitgebers abweichen wollen. Zudem führe die
zunehmende Ökonomisierung, Beschleunigung und Publikumsorientierung
dazu, dass individuelle Einstellungen heutzutage einen geringeren
Einfluss auf Nachrichten, Entscheidungen und die Gesamtstruktur der
politischen Berichterstattung hätten als in früheren Jahren. Dennoch
dürfte die Vorstellung eines neutralen Journalismus eine Illusion sein –
das galt in der Vergangenheit und gilt auch in der Gegenwart.
/Sie können Wirtschaftsredaktor Michael Rasch auf Twitter
, Linkedin
und Xing sowie
NZZ Frankfurt auf Facebook
folgen./