https://www.nzz.ch/meinung/kollabierte-kommunikation-was-wenn-am-ende-die-covidioten-recht-haben-ld.1574096# Kollabierte Kommunikation: Was, wenn am Ende «die Covidioten» recht haben? Auch mit Statistiken lässt sich trefflich lügen. Es ist unredlich, aus der Zunahme der Neuinfektionen eine derart grosse Gesundheitsgefahr abzuleiten, wie das derzeit vonseiten der Politik und der Medien geschieht. Milosz Matuschek 515 Kommentare 01.09.2020, 05.30 Uhr Sehr belebte Demonstration gegen die Coronapolitik in der Nähe der Siegessäule in Berlin, aufgenommen am 29. August 2020 . Es war Mitte April 2020, die Covid-19-Todesfälle waren in Europa auf einem Höhepunkt, als ein französischer Schäfer, Besitzer von Tausenden von Schafen, ein Video online stellte. Darin erklärte er, wie er vorgeht, wenn er die Schafe scheren, impfen oder auf die Schlachtbank führen muss. Das effektivste Mittel: der imaginäre Wolf. Auf sein Signal hin, dass ein Wolf im Anmarsch sei, rennen die Schafe wie von Sinnen in den Stall. Dort angekommen, sind sie so froh, dem Wolf entkommen zu sein, dass sie alles mit sich geschehen lassen. Ob es den Wolf dann tatsächlich gab oder nicht, ist egal. Sie sind froh, in Sicherheit zu sein. Wo ist der Wolf? Im April starben Menschen an Covid-19, es wurden Ausgangssperren, Lockdowns und Schutzmassnahmen verhängt, um eine Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden, die zu noch mehr Toten hätte führen können. Die Bedrohungslage bestand aus schweren Krankheitsverläufen, Hospitalisierungen, Todesgefahr. Heute muss man konstatieren: Der Kollaps des Gesundheitssystems ist nicht eingetreten, vielleicht auch dank den Massnahmen. In Deutschland meldeten Ärzte und Kliniken Kurzarbeit für 400 000 Menschen an. Von der Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems redet inzwischen übrigens niemand mehr. Kollabiert ist seitdem aber eines: die Kommunikation über das Virus. Das Virus entfaltet eine ungeahnte Nebenwirkung: Es befällt das Denkvermögen. Nun lautet die neue Gefahr: «Die zweite Welle ist im Anmarsch.» Besonders falsch sind da natürlich gerade Massendemonstrationen gegen die Corona-Politik wie letztes Wochenende in Berlin. Die Ansteckungsgefahr sei zu hoch. Erst versuchte man die Demonstration pauschal zu verbieten. Als das nicht klappte, rief man dazu auf, ihr fernzubleiben, es sei ohnehin nur eine Ansammlung von «Covidioten», Rechtsextremen und Reichsbürgern. Es ist ungeheuerlich: Politiker und einige Journalisten verunglimpfen pauschal Menschen, die gegen die derzeitige Politik demonstrieren. Man ruft erneut nach dem Wolf, aber immer weniger Menschen glauben offenbar, dass er kommt. Gibt es ihn denn, den Wolf? Es gibt derzeit keine zweite Welle. Nicht ein Mehr an Sterbefällen, nicht ein Mehr an Hospitalisationen, nicht ein Mehr an schweren Verläufen. Doch das sind die relevanten Zahlen, wenn man die Gefährlichkeit einer Epidemie ehrlich bewerten und staatliche Zwangsmassnahmen darauf stützen will. Die Zahl, die jedoch als Schreckgespenst herumgereicht wird, ist die Zahl der Neuinfektionen, also der registrierten Fälle, mögen diese auch völlig glimpflich verlaufen. Damit wird das Virus mathematisch präsenter und gefährlicher gemacht, als es ist. Mit einer abstrakten Gefahrenprognose, die sich auf einen grossen Konjunktiv stützt, darf man jedoch keine Freiheitsrechte beschneiden. Sonst müsste man den Strassenverkehr, fettreiche Ernährung und das Leben selbst verbieten. Kaum Tote Die Statistik gibt gerade den «Covidioten» recht: Sowohl die Zahl der Hospitalisationen als auch jene der Todesfälle geht in allen europäischen Ländern seit Wochen zurück. Gegenüber den Peaks im April haben sich seit Juli die Covid-Todesfälle in den meisten europäischen Ländern auf sehr niedrigem Niveau stabilisiert. Seit Mitte Juni ist in der Schweiz die Zahl der Todesfälle höchstens einstellig, an den meisten Tagen starb seither niemand mehr an (bzw. mit) Covid. Das Lockdown-abtrünnige Schweden hatte am 15. April einen Peak von 115 Corona-Toten zu vermelden. Diese Zahl ist seit dem 20. Juli einstellig, seit dem 23. August bei null. Wer aufbauend auf diesen Zahlen jetzt eine Impfpflicht oder mögliche weitere Lockdowns diskutiert, ist, pardon, selbst nicht ganz bei Trost. *Milosz Matuschek* ist stv. Chefredaktor des «Schweizer Monats». Zuletzt veröffentlichte er «Kryptopia» und «Generation Chillstand». 515 Kommentare Adrian Aerne vor 10 Tagen 115 Empfehlungen Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass die Politik nach und nach einräumen wird, Ängste provoziert und geschürt zu haben. Dazu gehört eben auch das unseriöse Verbreiten von absoluten statt relativen Fallzahlen. Und das Narrativ wird auf dem Konjunktiv-2 aufbauen: Hätten wir nicht Panik verbreitet, wären die schlimmsten Voraussagen eingetroffen. So weit klar. Dafür sind aber Dinge eingetroffen, die nicht vorausgesagt wurden: Geplatzte Lebensträume, vernichtete Existenzen, vereinsamte an Gram verstorbene Betagte, zerrissene Freundschaften, eine unsägliche Spaltung der Gesellschaft und vor allem eine nie dagewesenes Misstrauen gegen die Politik - bis hin zur Verachtung. Ja, es könnte durchaus sein, dass das Schimpfwort "Covidioten" auf die zurückfällt, die es erfunden haben. 115 Empfehlungen Harald Müller vor 11 Tagen 102 Empfehlungen Wow! Eine Freude, diesen Artikel zu lesen. Ich glaube wir sind uns einig, dass es keine Demos gäbe, wenn nach Ostern das Leben normal weitergegangen wäre. Wenn man die Risikopatienten geschützt hätte und gut ist. Erst hieß es "Flatten the curve", dann musste die Verdoppelungszahl herhalten, dann der R-Faktor. Aber dann kam die Nachricht, die zeigt um was es wirklich geht: Die Pandemie ist dann zu Ende, wenn es einen Impfstoff gibt. Aha! Wie war das nochmal 2010? Diesmal findet die Politik zu dem noch gefallen am durchregieren per Verordnung. Und als Zeichen der Treue, wird die Maske zum Symbol der Dazugehörigkeit eingeführt. Die Maske, die noch nicht einmal nachweisen kann, dass sie bei Operationen etwas bringt! Ich befürchte. dass das noch viel schlimmer wird, weil die Politik nicht mehr zurück kann, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Wären die Kritiker Spinner, würde man sie gewähren lassen. So aber müssen sie bekämpft werden. Man muss sich nur die die "Öffentlich-rechtlichen" Sendebeiträge zu den Demos ansehen. Man diffamiert Demonstranten, weil halt auch Deppen mitlaufen. Das war übrigens kein Problem, als beim G20-Treffen in Hamburg die Randalierer der ANTIFAnten die Stadt abfackelten. Da war es kein Thema, mitzulaufen, um Kritik am Kapitalismus zu äußern. Aber auch dort war es auffällig, dass häufig friedliche Demonstranten Opfer von Polizeigewalt wurden. Das läuft nach dem Motto: Bestrafe einen, erziehe hundert! Ebenso erfolgreich seit Jahrtausenden: Teile und herrsche! 102 Empfehlungen Alle Kommentare anzeigen